Vom 30. Juni bis 2. Juli findet das offene UFI-Seminar in St. Petersburg statt. Der internationale Messeexperte Jochen Witt ist mit dem Geschehen in Russland bestens vertraut.
Nach dem UFI-Jahreskongress 2005 in Moskau kommt der Weltmesseverband nun ein weiteres Mal nach Russland. Anders als bei der Tagung vor fast neun Jahren gibt es dieses Mal keine Aufbruchsstimmung, die Vorzeichen sind etwas getrübt. So wirken sich die Entwicklungen in der Ukraine nicht gerade positiv auf die wirtschaftlichen Prognosen in der Russischen Föderation aus. Der Internationale Währungsfond geht von einem diesjährigen Wachstum von nur noch 1,3 Prozent aus. Pessimistischer zeigte sich unlängst Russlands Finanzminister Anton Siluanow, der sogar eine Nullnummer befürchtet. „Wenn sich die politische Situation um den Ukraine-Konflikt nicht schnell ändert, werden die Jahre 2014 und 2015 ökonomisch schwierig“, glaubt Jochen Witt. „Auch die Akteure im russischen Messegeschäft dürften die etwaigen negativen Auswirkungen mit einer kurzen zeitlichen Verzögerung spüren“, sagt der Geschäftsführer des in Köln ansässigen Messeberatungsunternehmens JWC.
Das anstehende UFI-Seminar in St. Petersburg hat das Motto „Perspektiven erweitern – intelligente Ideen für das Messegeschäft im 21. Jahrhundert.“ Teilnehmer und Referenten beschäftigen sich mit den Innovationen für erfolgreiche Veranstaltungen der Zukunft (www.ufi.org). Einen ähnlich innovativen Schub benötigt die russische Wirtschaft, damit der lange versprochene Modernisierungsprozess in Gang kommt. „Ich habe viel von Russland gesehen“, erzählt Jochen Witt. „Und ich bin vom Land und seinen Menschen begeistert“, berichtet er über seine zahlreichen Begegnungen vor Ort. „Da schlummert ein riesiges Potenzial“, betont er. „Langfristig sind die grundsätzlichen Perspektiven auch für die Messewirtschaft positiv.“ Allerdings hängt Russlands ökonomisches Wohl nach wie vor zu einem großen Teil von seinen Öl- und Gasexporten ab – sogar mit steigender Tendenz. Die Politik spricht seit Jahren darüber, von diesen Rohstoffausfuhren unabhängiger zu werden und mehr Wertschöpfung ins Land zu holen. „Da gibt es viele Lippenbekenntnisse und einige gut gemeinte Ansätze wie die Innovation City nahe Moskau“, führt Jochen Witt ein Beispiel an. „Letztlich gestaltet sich die Umsetzung oft äußerst schwierig, weil es an Know-how und geeigneten Strukturen fehlt – und entsprechende Prozesse unbekannt sind.“
Auch im Veranstaltungsgeschehen müsste eine Modernisierung in Gang gesetzt werden. Es braucht eine Art staatlichen Masterplan für die russische Messe- und Kongresswirtschaft – um etwa wie in China neue Marktplätze für Aussteller zu entwickeln und damit eine Dynamik in der Wirtschaft zu entfachen. „Bis auf wenige Veranstaltungszentren wie Expocentre und Crocus Expo in Moskau und der Messe in Jekaterinburg fehlen qualitativ hochwertige Gelände“, weiß Jochen Witt. „Demnächst kommt noch das ExpoForum in St. Petersburg als topmoderne Veranstaltungsstätte hinzu.“ Das neue Messe- und Kongresszentrum bringt die Stadt an der Newa ein Stück voran. Dennoch werden die Karten in Russlands Veranstaltungsszene nicht komplett neu gemischt. „St. Petersburg wird mit dem Neubau seinen Platz als russische Nummer zwei weiter festigen“, argumentiert Witt. „Die meisten führenden internationalen Messen werden jedoch weiter in Moskau stattfinden“, prognostiziert der Veranstaltungsexperte, der vor einigen Jahren selbst als UFI-Präsident fungiert hat. „Das liegt an der zentralistischen Struktur Russlands, die sich auch auf die Wirtschaft und damit auf die Messen auswirkt.“
Nichtsdestotrotz ergeben sich im ExpoForum durchaus Möglichkeiten für eine erfolgreiche Geschäftsentwicklung in den nächsten Jahren und darüber hinaus. Gute Chancen für St. Petersburg sieht Jochen Witt besonders in den Bereichen Kongresse und Kongressmessen. „Hier haben die Verantwortlichen eine Möglichkeit, künftig eine eigene Positionierung gegenüber der Hauptstadt Moskau aufzubauen“, ist er überzeugt. Im klassischen Messebereich dürften dagegen lediglich einzelne Nischen mit führenden internationalen Messeveranstaltungen zu besetzen sein. „Potenzielle Messethemen im ExpoForum könnten unter anderem in den Branchen Energie, Fortwirtschaft und Chemie erfolgreich etabliert werden“, analysiert Witt (www.jwc.eu.com).
Am 19. Februar kam der Föderationsrat des russischen Parlaments unter der Leitung der Vorsitzenden Valentina Matvienko zu einer Anhörung zusammen. Dabei wurde intensiv über die rechtlichen Grundlagen von Messe- und Kongressaktivitäten geredet – als Mechanismen für wettbewerbsfähiges Wachstum und die Vermarktung russischer Waren und Dienstleistungen im In- und Ausland. Die Teilnehmerliste las sich wie das nationale Who-is-who der Wirtschafts- und Industriepolitik. Auch hochrangige Akteure aus der Messeszene kamen zu Wort. Zu den Sprechern bei der Anhörung gehörte der Generaldirektor von Russlands führender Messegesellschaft Expocentre, Sergey Bednov. Er beschrieb, dass die Russische Föderation gerade Mal über zwei Prozent der weltweiten Ausstellungsflächen verfügt, sehr wenig bei dem Riesenterritorium. Dagegen hätten andere führende Wirtschaftsnationen wie die USA, China oder Deutschland jeweils einen Anteil zwischen zehn und 20 Prozent. Die Lösung für die bestehenden Probleme ist in einem Entwicklungskonzept für die russische Messe- und Kongressbranche skizziert. Um rechtliche Rahmenbedingungen mit den realen Bedürfnissen der Messewirtschaft in Einklang zu bringen, muss schnell gehandelt werden, forderte Sergey Bednov. Er bezeichnete es als notwendig, ein entsprechendes Gesetz zu formulieren: namentlich, das „Gesetz über Ausstellungs-, Messe- und Kongressaktivitäten“. Im Verlauf der Anhörung diskutierten die Teilnehmer generelle Bestimmungen für den Gesetzesentwurf. Gesprochen wurde außerdem über Maßnahmen zur Förderung regionaler Veranstaltungsstätten. Gerade in den Provinzen Russlands fehlt es an geeigneten Messeflächen, was ein großer Hemmschuh für die Entwicklung der Wirtschaft ist. Geredet wurde auch darüber, wie die Messewirtschaft des Riesenreiches auf ein höheres Niveau gehoben werden kann – um so zur Umsetzung der russischen Außenwirtschaftsstrategie beizutragen (www.expocentr.ru).
Autor: Peter Borstel
Dieser Artikel ist erschienen in TFI Heft 3-4/2014
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